Der Lenauplatz

Am 25. September 1902 war es so weit: Der Rat der Stadt Köln beschloss, dass der bis dahin namenlose Platz an der Landmannstraße fortan „Lenauplatz“ heißen sollte. An diesem Tag bekam auch die Hauffstraße ihren Namen. Die Eichendorffstraße und die Chamissostraße hatten schon im Juli offiziell ihre Namen erhalten.

Zusammen mit Kleist, später noch mit Tieck, Arnim und Brentano ist damit die Deutsche Romantik, genauer die Literatur dieser Epoche gut vertreten im Stadtteil Neuehrenfeld.

Der Stadtteil war zu dieser Zeit gerade erst im Entstehen. Wo zuvor Felder, dann Obstbaum-Pflanzungen die Landschaft prägten entstanden nun Häuserblöcke mit Wohnen für tausende Menschen. Sie zeichneten sich aus durch abwechslungsreiche Fassadengestaltung und – verglichen mit den Verhältnissen im älteren Teil Ehrenfelds jenseits der Subbelrather Straße – viel Grün. Ein krasser Gegensatz zum verrussten Industrieort Ehrenfeld mit seinen Fabrikschloten, den engen Straßen und zugebauten Hinterhöfen.

Sehnsucht nach Natur und Harmonie sind prägende Elemente der Romantik. Die Namenswahl, die letztlich dann den „Lenauplatz“ hervorbrachte, war bewusst. Kurze Zeit später war es folgerichtig, eine „Lenaustraße“ zu benennen. An deren Ende dehnten sich zunächst noch die Reste der Obstbaumplantagen aus, die der Familie Schlösser und ihrem Gut „Subbelrather Hof“ gehörten. Auch dafür gab es schon Pläne einer Wohnsiedlung bis zur Takustraße. Unter anderem war eine „Grillparzerstraße“ vorgesehen. Doch dazu kam es nie.

Der österreichische Dichter Franz Grillparzer war ein Landsmann und Zeitgenosse von Nikolaus Lenau. Beide waren in ihrer Heimat als Dichter schon zu Lebzeiten überaus populär. In zahlreichen österreichischen Städten und Gemeinden sind Straßen und Plätze nach ihnen benannt, wie auch in Deutschland.

Lenau wurde am 13. August 1802 als Nikolaus Franz Niembsch geboren. Zu seinem Namen kam Nikolaus Franz Niembsch 1820 dank seines Großvaters der als „Edler von Strehlenau“ geadelt wurde. Seine Enkelkinder – auch den Halbwaisen Nikolaus Franz – nahm er zu sich. Sie waren damit ebenfalls adlig.

Lenaus Geburtsort Csadát gehörte damals zum Königreich Ungarn. Heute liegt er in Rumänien und hat seit 1926 auch den deutschen Namen Lenauheim. In der Region lebten damals zumeist Angehörige der Volksgruppe Banater Schwaben. Das Geburtshaus Lenaus existiert noch. Es beherbergt heute ein Heimatmuseum.

Heribert Rösgen

„… und wer war nun Nikolaus Lenau?“

Dass das diesjährige Lenau-Licht diesen Untertitel trägt ermutigt mich zu einem Bekenntnis.

Als an mich die Frage herangetragen wurde, ob ein Nikolaus Lenau-open air event in Neu-Ehrenfeld, für das ein Chor gesucht wird, etwas für die Cappella vocale St. Aposteln wäre, war meine Neugier geweckt.

Open air statt Romanische Basilika, weltliche Chorliteratur statt lateinischer Motetten – warum nicht?!

Allerdings: Wer ist denn Nikolaus Lenau?

Ein Dichter des 19. Jahrhunderts. So weit, so gut. Aber springen einem unmittelbar Gedichtzeilen ins Gedächtnis? So wie bei Heine oder Eichendorff? Leider Fehlanzeige. Meine Beschäftigung mit Lenau nahm denn auch zunächst den Umweg über die Musik. Und siehe da: Fanny Hensel, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Richard Strauss und viele mehr; etliche Vertonungen, aus der die Qual der Wahl zu treffen war. Und hier nun auch immerhin Titel, die man als Chorleiter durchaus kennt, wie z. B. „Schilflieder“.

Es bleibt dabei aber ein großes Fragezeichen: Wie kommt es, dass ein Dichter, der im 19. Jahrhundert ungeheure Popularität genoss, heute fast gänzlich dem kollektiven Vergessen anheimgefallen ist? War er als „Dichter des Weltschmerzes“, dessen Pessimismus selbst dem Zeitgenossen Felix Mendelssohn Bartholdy bei der Vertonung zu viel geworden zu scheint (dazu mehr am 11. Oktober), zu negativ für die folgenden Generationen?

Oder aber haben nicht gerade seine biographisch begründete Desillusionierung über den „american dream“, seine Materialismuskritik, sein Blick auf benachteiligte Minderheiten uns gerade heute wieder etwas zu sagen?

Froh und dankbar bin ich, dass wir für das Lenau-Licht nicht nur Werke der deutschen Chorromantik erarbeiten konnten, sondern dass sich Reiner Schuhenn (ehem. Rektor der Hochschule für Musik und Tanz Köln) von der „Bitte“ Lenaus zu einer eigens für uns und das Lenau-Forum entstandenen Komposition hat inspirieren lassen. Lenau klingt nach, Lenau klingt neu.

Zusammen mit der Cappella vocale freue ich mich auf einen Abend der (Wieder)Entdeckungen!

Meik Impekoven
Kantor der Basilika St. Aposteln

Ralf Peters – Meine Motivation für das Lenaulicht 2025

Ralf Peters, Kölner Stimmfeld-Verein

„Auf Lenau aufmerksam gemacht wurde ich durch Roland, der mir von der Idee erzählte, der Frage nachzugehen, warum der Lenauplatz diesen Namen bekommen hat. Bis dahin hatte ich von Nikolaus Lenau so gut wie nichts gelesen, ich kannte seinen Namen, aber seine Gedichte waren mir nur sehr selten irgendwo begegnet.

Also habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und begonnen, mich mit ihm und seinem Werk zu befassen. Dabei wurde schnell klar, dass es zwei Anknüpfungspunkte gibt, über die seine Arbeiten mit dem, was mich beschäftigt, in Verbindung gebracht werden können. Zusammenfassen lassen sich die beiden Aspekte mit dem Titel „Romantischer Kapitalismus“. Und so habe ich dann auch meinen ersten Vortrag zu Lenau genannt. Ich beschäftige mich seit längerem mit dem Thema „Künstlersein im Kapitalismus“ und der Frage, ob die Kunst einen Beitrag für eine ökologische Transformation unserer Gesellschaft leisten kann. Für beides gibt es bei Lenau etwas zu lernen.

Nikolaus Lenau ist der Dichter der Verlusterfahrungen. Viele seine Gedichte thematisieren den Verlust von Liebe oder der Geliebten, von Lebensformen, die einigermaßen entspannt waren oder von Lebensräumen, die durch die Verwerfungen der Moderne verloren gegangen sind. Eine zentrale Metapher für den Verlust ist bei Lenau die Natur. Einerseits fungiert sie als Rückzugs- und Sehnsuchtsort, andererseits symbolisiert sie das, was verloren gegangen ist.

Diese Grundhaltung Lenaus gehört zur Romantik genannten Gegenbewegung gegen die Industrialisierung im frühen und mittleren 19. Jahrhundert und die damit einhergehende Dominanz des kapitalistischen Geistes, der alles in der Welt nur noch als Ressource, Ware und Möglichkeit für Profitstreben betrachtet. Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass diese im Grunde so sympathische und „richtige“ Gegenbewegung letztlich vom kapitalistischen Geist eingefangen und integriert wurde. Im Kapitalismus wird die so genannte Natur nämlich nur noch in der Funktion für uns Menschen gesehen. Das beinhaltet wie oben schon angedeutet die Funktion der Ressourcen, die man ausbeuten kann, die Funktion der Müllkippe, in die alles, was unbrauchbar ist, hineingegeben wird und eben auch die Funktion des Erholungsgebiets für die gestressten Bürger der kapitalistischen Moderne. D.h. man kann widerspruchsfrei mitmachen im kapitalistischen Zirkus und zugleich im Urlaub und am Wochenende die Natur genießen, die während der Woche von unseren Aktionen zerstört wird.

Lenau ist ein Prototyp dieses romantischen Kapitalisten. Er war nämlich nicht nur Dichter, sondern auch Geschäftsmann, der u.a. in die USA gereist ist, um dort Land zu kaufen, das er gewinnbringend an Farmer weiterverpachten wollte. Eine durch und durch kapitalistische Art, Land und Erde zu verstehen und für seine Zwecke zu nutzen. Das hat ihn nicht davon abgehalten, Gedichte zu schreiben, die ungeschminkt das Leid der „Indianer“ thematisieren.

Wie auch immer, diese Kombination von Melancholie über die Verluste, die unsere Zeit und Lebensform mit sich bringen und zugleich Geschäftssinn, der dem kapitalistischen Geist folgt, hat in Lenau Gestalt angenommen. Das ist der Grund für seine große Popularität bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, denn gerade die sogenannten gebildeten Schichten konnten sich in ihm wiederfinden. Und es ist der Grund für sein weitgehendes Verschwinden aus dem Lyrikkanon, denn mittlerweile ist uns der romantische Kapitalismus so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir kein Spiegelbild dafür mehr benötigen.

(Ausnahme bildet hier die Musik, denn Gedichte Lenaus werden zum Glück noch immer vertont.)

Uns Lenau in Erinnerung zu rufen, kann uns helfen, die zerstörerischen Tendenzen unseres Weltverständnisses zu erkennen und am besten zu überwinden. Darin besteht meine Motivation, mich mit Lenau zu beschäftigen.”