Ralf Peters – Meine Motivation für das Lenaulicht 2025

Ralf Peters, Kölner Stimmfeld-Verein

„Auf Lenau aufmerksam gemacht wurde ich durch Roland, der mir von der Idee erzählte, der Frage nachzugehen, warum der Lenauplatz diesen Namen bekommen hat. Bis dahin hatte ich von Nikolaus Lenau so gut wie nichts gelesen, ich kannte seinen Namen, aber seine Gedichte waren mir nur sehr selten irgendwo begegnet.

Also habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und begonnen, mich mit ihm und seinem Werk zu befassen. Dabei wurde schnell klar, dass es zwei Anknüpfungspunkte gibt, über die seine Arbeiten mit dem, was mich beschäftigt, in Verbindung gebracht werden können. Zusammenfassen lassen sich die beiden Aspekte mit dem Titel „Romantischer Kapitalismus“. Und so habe ich dann auch meinen ersten Vortrag zu Lenau genannt. Ich beschäftige mich seit längerem mit dem Thema „Künstlersein im Kapitalismus“ und der Frage, ob die Kunst einen Beitrag für eine ökologische Transformation unserer Gesellschaft leisten kann. Für beides gibt es bei Lenau etwas zu lernen.

Nikolaus Lenau ist der Dichter der Verlusterfahrungen. Viele seine Gedichte thematisieren den Verlust von Liebe oder der Geliebten, von Lebensformen, die einigermaßen entspannt waren oder von Lebensräumen, die durch die Verwerfungen der Moderne verloren gegangen sind. Eine zentrale Metapher für den Verlust ist bei Lenau die Natur. Einerseits fungiert sie als Rückzugs- und Sehnsuchtsort, andererseits symbolisiert sie das, was verloren gegangen ist.

Diese Grundhaltung Lenaus gehört zur Romantik genannten Gegenbewegung gegen die Industrialisierung im frühen und mittleren 19. Jahrhundert und die damit einhergehende Dominanz des kapitalistischen Geistes, der alles in der Welt nur noch als Ressource, Ware und Möglichkeit für Profitstreben betrachtet. Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass diese im Grunde so sympathische und „richtige“ Gegenbewegung letztlich vom kapitalistischen Geist eingefangen und integriert wurde. Im Kapitalismus wird die so genannte Natur nämlich nur noch in der Funktion für uns Menschen gesehen. Das beinhaltet wie oben schon angedeutet die Funktion der Ressourcen, die man ausbeuten kann, die Funktion der Müllkippe, in die alles, was unbrauchbar ist, hineingegeben wird und eben auch die Funktion des Erholungsgebiets für die gestressten Bürger der kapitalistischen Moderne. D.h. man kann widerspruchsfrei mitmachen im kapitalistischen Zirkus und zugleich im Urlaub und am Wochenende die Natur genießen, die während der Woche von unseren Aktionen zerstört wird.

Lenau ist ein Prototyp dieses romantischen Kapitalisten. Er war nämlich nicht nur Dichter, sondern auch Geschäftsmann, der u.a. in die USA gereist ist, um dort Land zu kaufen, das er gewinnbringend an Farmer weiterverpachten wollte. Eine durch und durch kapitalistische Art, Land und Erde zu verstehen und für seine Zwecke zu nutzen. Das hat ihn nicht davon abgehalten, Gedichte zu schreiben, die ungeschminkt das Leid der „Indianer“ thematisieren.

Wie auch immer, diese Kombination von Melancholie über die Verluste, die unsere Zeit und Lebensform mit sich bringen und zugleich Geschäftssinn, der dem kapitalistischen Geist folgt, hat in Lenau Gestalt angenommen. Das ist der Grund für seine große Popularität bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, denn gerade die sogenannten gebildeten Schichten konnten sich in ihm wiederfinden. Und es ist der Grund für sein weitgehendes Verschwinden aus dem Lyrikkanon, denn mittlerweile ist uns der romantische Kapitalismus so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir kein Spiegelbild dafür mehr benötigen.

(Ausnahme bildet hier die Musik, denn Gedichte Lenaus werden zum Glück noch immer vertont.)

Uns Lenau in Erinnerung zu rufen, kann uns helfen, die zerstörerischen Tendenzen unseres Weltverständnisses zu erkennen und am besten zu überwinden. Darin besteht meine Motivation, mich mit Lenau zu beschäftigen.”